Im Großen und Ganzen haben A und ich die letzten anderthalb Jahre erstaunlich gut hinbekommen. Das Schlimmste schien überstanden. Aber was wäre eine gute Dualseelengeschichte ohne neue „twists and turns“?
Wie ich schon erwähnte, haben wir uns zuletzt auf ein Thema zubewegt, das wir bisher erfolgreich umschiffen konnten. Unseren Kernkonflikt.
Während ich Unabhängigkeit und Freiheit anstrebe, begibt sich A immer mehr in Abhängigkeiten. Ich habe immer wieder ein kristallklares Nein gespürt, wenn er weitere Schritte in diese Richtung unternahm. Jetzt scheinen wir erneut an einem Scheideweg angelangt zu sein.
Da sind sie wieder, die Momente, wo ich ihn und diese ganze Seelenverbindung zum Teufel wünsche. Unser Weg war gepflastert von vielen kleinen und größeren Toden. Nun scheint ein weiter Tod anzustehen.
Heimanmeldung
Nun, um es kurz zu machen: er hat sich für die Unterbringung in einem Heim angemeldet. Nicht sofort, aber möglicherweise in den nächsten Monaten.
Ich saß da wie eingefroren. Und wusste nicht, was ich noch sagen sollte.
Meine Freundin, die selbst eine chronische Erkrankung hat, sprang für ihn in die Bresche und meinte, er müsse vorsorgen, und irgendwann fordere der Körper seinen Tribut.
Auch ihr wusste ich nichts zu erwidern. Auf seltsame Weise ging ihre Antwort an meiner Realität vorbei.
Alles, was ich spürte, war diese ohnmächtige Wut. Ist hier wieder einmal Gegenübertragung am Werk? Lässt mich A erneut am eigenen Leib seine Geschichte erfahren?
Ich finde es schwierig, die Lage verständlich zu machen, ohne den persönlichen Hintergrund zu schildern. Aber aus naheliegenden Gründen werde ich das nicht tun.
Einschnitt
Fakt ist, dass diese Heimanmeldung einen Rieseneinschnitt bedeutet. Es bedeutet, seine Autonomie aufzugeben, vermutlich unwiederbringlich. Unsere gemeinsamen Wochenenden würden der Vergangenheit angehören. Und nein, ich kann mir nicht vorstellen, mich für ein paar Tage in einem Pflegeheim einzubuchen – selbst wenn sie mich lassen würden. Ich kriege schon Zustände, wenn seine pädagogische Betreuerin auftaucht.
Noch einen Tag zuvor hatte er begeistert von seinen neuen Plänen gesprochen. Der Lebensfunke schien zurückgekehrt zu sein. Und jetzt der erneute Crash.
Was mich erschreckte, war meine Reaktion auf das, was er schilderte. Er war ernst, bedrückt, war der einzige, der redete. Und eigentlich hätte ich erwartet, dass mich seine Gemütslage berühren würde. Doch von Empathie war weit und breit nichts zu sehen. Alles, was ich dachte: „Geschieht dir recht.“
Das sind keine edlen, schönen Gedanken. Sowas sagt man doch nicht, oder?
Falscher Berg
Doch ich meinte, da säße er als Steinbock nun hoch oben auf seinem (falschen) Berg und komme nicht mehr runter. Tja, und nun?
Etwas in mir sagt: Dann ist das wohl so. Pech gehabt. Du hast genug Zeit gehabt, dich drum zu kümmern. Umzukehren. Oder es zumindest zu versuchen. Stattdessen hat er versucht, die Krankheit im Zaum zu halten. Dämonen lassen sich selten besänftigen. Man kämpft sich nur müde an ihnen. Und müde bin ich auch.
Kompensation funktioniert nicht mehr.
Und ein bisschen fühle ich mich, als hätte ich einen Alkoholkranken vor mir. Manchmal muss man die Leute vor die Wand fahren lassen, bevor sie aufwachen. Ansonsten bleibt man koabhängig.
Wir ernten, was wir säen
Wir ernten, was wir säen. Er hat sich zeitlebens nicht an die Ursache gewagt. Er hielt mit all der ihm innewohnenden Sturheit an seinem Lebensentwurf fest: Andere werden für mich sorgen.
Und so fragte ich ihn schließlich, ob dieses Gespräch ein Appell an mich sei. Frei nach dem Motto: wenn du nicht kommst und mir bei diesem Projekt hilfst, bleibt mir leider nur noch das Pflegeheim. „Bis ans Ende meiner Tage“. Seine Worte. Kein Witz.
Und ich sitze da und reib mir die Augen und denk: Gehts noch? Bin ich jetzt völlig im falschen Film?
Hausgemacht
Im Kern geht es mir nicht um seine Krankheit. Die könnte ich akzeptieren. Wenn ich nicht dieses verdammte Gefühl hätte, dass das alles hausgemacht ist. Teil eines Spiels. Ich fühle mich manipuliert. Geschickt getarnt. Unter dem Deckmantel des Opfers. Er macht sich klein. Oh boy, macht mich das wütend!
Er kann ja nicht anders. Die Krankheit ist sein Schicksal. Die Krankheit ist unheilbar. Really? Den Beweis ist er mir schuldig geblieben.
Wenn ich von bedingungsloser Liebe lese, muss ich lachen. Echt jetzt.
Es erinnert mich daran, wie meine Ausbildungstherapeutin mal von ihrer Arbeit mit Migränepatienten erzählte. Sie war damals noch ein Greenhorn, und was auch immer sie sich ausdachte, die Migränepatienten fanden einen Weg, sie auflaufen zu lassen.
Wer nicht will, der hat schon
Was lernen wir daraus? Wer nicht will, der hat schon.
Und so sitze ich hier mit einer Mischung aus zurückgehaltener Wut, Schmerz und Ratlosigkeit. Schon während des Gesprächs sagte ich, wir sollten besser aufhören zu skypen. Im Prinzip hätte ich eine Menge zu sagen, aber ich wolle nichts sagen, was mir später leid tut.
Er meinte, ich hätte recht, dass das wie ein „kleines Ende“ für uns sei. Vielleicht müssten wir jetzt beide nachdenken. (Dieses Muster kommt mir bekannt vor.)
Ich habe mir die Sterne der nächsten zwei Wochen angesehen, und ich würde aktuell mein Auto darauf verwetten, dass er in den nächsten Tagen erneut das Handtuch schmeißt. Schließlich stehe ich ja nicht hinter ihm.
Aufhalten?
Habe ich noch Lust, ihn aufzuhalten? Nö. Hab ich nicht.
Was nichts an der Tatsache ändert, dass es mir beschissen geht. Ich spüre am ganzen Körper, wenn unsere Harmonie und Einheit verloren geht. Es fühlt sich vollkommen falsch an.
Und doch marschieren wir beide in unterschiedliche Richtungen. Oder befinden uns sogar auf unterschiedlichen Bergen. Da kann man sich schon mal aus den Augen verlieren.
Ich bin unglaublich enttäuscht. Manche behaupten ja, das sei positiv, weil man seine Täuschungen verliere. Nun denn. Sei´s drum. Die anderen Tode habe ich auch überlebt.
Wie es aus- oder weitergeht? Ich habe nicht die geringste Ahnung.