In den letzten Wochen ist mir öfter dieses Drama-Dreieck durch den Kopf gegangen, in dem sich drei Personen mit wechselnden Rollen in einer Dynamik finden. Bisher wusste ich um dieses Modell, habe aber nicht so richtig verstanden, was es damit auf sich hat. Gestern las ich endlich mal nach.

Auch wenn ich nicht den besten Artikel zum Thema erwischt zu haben schien (die Argumentation überzeugte mich nicht völlig), blieb ich doch an ein paar Kernpunkten hängen. Die Hauptbotschaft war: bleib bei dir. Geh in dich. Orientier dich nicht am Außen. Und die andere Botschaft war: jeder Beteiligte sollte für sich die Verantwortung übernehmen.

Dabei ging mir auf, dass ich eine Parallele zu meinem Empfinden sehe, wie es sich in Bezug auf A entwickelt hat. A war historisch eindeutig ein Opfer. Und wenn ich ehrlich bin, sehe ich ihn bis heute in dieser Rolle.

Retterin

Mir kam von Anfang an die Rolle der Retterin zu, und es wäre gelogen, wenn ich mich darin nicht wiedergefunden hätte.

Aber in den letzten Monaten, nachdem A ins Heim gezogen war, hat sich etwas in mir verändert. Ich habe meine „Heilsbemühungen“ schon seit geraumer Zeit eingestellt, und an deren Stelle ist eine manchmal achselzuckende Akzeptanz getreten. Wobei „achselzuckend“ es nicht ganz trifft. Er ist mir nicht egal geworden. Aber ich habe akzeptiert, dass ich ihn nicht retten kann – und will!

In dem Sinne habe ich ihm seine Verantwortung zurückgegeben, die ich so lange bereitwillig übernommen hatte. Was nun manchmal in mir hochkommt, sind Schuldgefühle und dieses diffuse Gefühl, ihn im Stich zu lassen. Wird man einem Kranken gegenüber einfach gleichgültig? (Achtung, innerer Kritik speaking)

Väterliche Züge

Ich muss ehrlich gesagt nicht weit suchen, um auf die Quelle meines Musters zu stoßen: es sind die Züge meines Vaters, die ich in A wiederfinde – und die mich auch so heftig angezogen haben. Doch die Opferrolle stößt mich zunehmend ab. Macht mich wütend. Zumal man es als Helfer dem Opfer sowieso nie recht machen kann. Teil der Dynamik ist eben auch, dass das Opfer sich nicht wirklich retten lassen will. Es will nur dein Bemühen spüren, als sei das der Beweis deiner Liebe.

Noch immer macht mich As aktueller Zustand ratlos, und ja, ich habe mich emotional davon ein Stück entkoppelt. Wahrscheinlich, weil ich es sowieso nicht ändern kann. Interessant und traurig zugleich finde ich zu beobachten, dass nun – nach der sich einschränkenden Mobilität und dem weitgehenden Aufgeben seiner Privatsphäre – auch seine Sprache beginnt zu schwinden. Medizinisch wird es dafür alle möglichen Gründe geben, aber ich betrachte die Dinge eher mit Neugier und denke: er verstummt. Oder wie eine Freundin es formulierte: er schaltet sich Stück für Stück selbst ab.

Vergebliche Hilferufe

Vielleicht hat er zu lange vergeblich um Hilfe gerufen, und auch ich habe diesen Hilferuf ja gehört. Doch die Wahrheit bleibt: ich kann sein Trauma nicht heilen. Ich kann ihn nicht retten. Das kann er bestenfalls selbst. Hilfestellungen hatte er reichlich.

Und mit dieser Einsicht geht eine Erleichterung einher. Vielleicht liegt darin auch der Grund, dass dieser Sog zu ihm nachgelassen hat. Weil meine Motivation eine andere geworden ist.

Jeder stehe auf seinen eigenen Füßen. Daran arbeite ich, auch beruflich.

Ja, so ist es

Trauer kommt noch manchmal hoch, aber dann denke ich, dass ich die meiste Trauerarbeit in den letzten Jahren schon geleistet habe. Jetzt sehe ich die Situation und sage: Ja, so ist es.

Dazu gehört, dass ich Mutter bin und in einem anderen Land lebe. Und dass – nebenbei bemerkt – Covid mich seit November letzten Jahres systematisch vom Reisen abgehalten hat. Im Moment ist das ok für mich. Hier gibt es wahrlich genug zu tun.