Es ist eine Weile her, dass ich euch von uns erzählt habe. Denn natürlich ist die Zeit nicht stehengeblieben. Viel ist passiert, und wir haben viel gelernt. 

Das Wichtigste ist, dass unser mehrjähriges Runner-and-Chaser-Spiel ein Ende gefunden hat. Den letzten großen Ausbruch (sprich: Trennung) haben wir vor fast einem Jahr erlebt. Aus heutiger Sicht war es ein Durchbruch.

Wie es dazu kam? Nun, wenn man sich näher kommen möchte – noch näher! –,  dann beginnt man, auch sehr persönliche Dinge preiszugeben. Dinge, die wir vielleicht noch nie jemandem gezeigt haben.

Wenn wir dann genug Vertrauen gefasst haben, riskieren wir vielleicht, diese Schattenseite oder dieses Geheimnis der geliebten Person zu offenbaren. Ein Risiko bleibt es jedoch immer noch. Es macht Angst.

Vor den Vorhang

Genauso war es auch bei uns. Im Frühjahr letzten Jahres hatte ich mir ein Herz gefasst und war mit einem großen Geheimnis vor den Vorhang getreten.

A. tat es mir bald gleich. Er sagte, es hätte in ihm das Bedürfnis geweckt, auch vor den Vorhang zu treten. Doch sein Geheimnis war ganz schön heftig.

Meine erste Reaktion – Schock und Betroffenheit – scheint ihm Angst gemacht zu haben.

Er schien überzeugt, dass ich nach dieser Offenbarung nun endgültig nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.

Also ging er auf Nummer sicher und kam mir zuvor. Er tat das – aus seiner Sicht – absolut Unausweichliche und trennte sich.

Ungefähr zum fünften Mal. Oder so. (Ich habe aufgehört zu zählen).

Was tun?

Auch wenn ich seine Offenbarung heftig fand und ein paar Tage und Gespräche brauchte, um sie zu verdauen, stand meine Liebe nie in Zweifel.

Zum anderen war ich nach vier Jahren geübt im Verlassenwerden. Scheiße fand ich es immer noch, aber es haute mich nicht mehr aus den Schuhen.

Also was wollte ich tun? Ihn ziehen lassen?

Ich beschloss, ehrlich zu sein. Nicht zu ziehen und nicht zu schieben. Zu verlieren gab es eh nichts. An meinen Gefühlen gab es nichts zu rütteln. An unserer Verbindung auch nicht. Uns zu trennen hatten wir oft genug – erfolglos – probiert.

Also blieb ich, wo ich war. Bei mir.

Ich gönnte mir ein paar Tage Zeit, um Klarheit zu gewinnen. Als ich in meiner Mitte angekommen war, schickte ich A. eine Nachricht. Eine ehrliche, ungeschminkte, liebevolle Nachricht. Eine sehr persönliche Nachricht.

Seine Antwort? „Es tut weh, wie sehr du mich liebst.“

Raum beanspruchen

Rückblickend war dies der Moment, wo ich innerlich den Raum in Anspruch nahm, der A. und mir gehört.

Ich trat in neue Verhandlungen mit meinem Mann ein und sagte ihm, was ich brauche oder mir wünsche. Interessanterweise kamen wir zu einer Absprache, die anfangs mal im Raum gestanden hatte. Wir vereinbarten, dass A. und ich uns alle zwei Monate sehen können.

Doch diesmal gab es einen Unterschied. Er lag in mir.

Während wir vorher ein Hin-und-Her erlebt hatten, stellte ich mich zum ersten Mal auf eine glasklare Position. Mir war bewusst, dass ich etwas riskierte. Ich riskierte, dass mein Mann die Reißleine zieht. Dass das, was ich mir wünschte, über seine Grenzen ging.

Doch mir war klar geworden, dass ich nicht länger meine eigenen Grenzen und Bedürfnisse ignorieren konnte. Ich konnte nicht ihm zuliebe jemand sein, der ich nicht war. A. gehörte in mein Leben. Er war Teil von mir. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

Bewusste Entscheidung

Im Folgenden brachte dies meinen Mann und mich dazu, uns zu überlegen, ob wir zusammenbleiben möchten. Was wir aneinander haben – und was nicht. Und wir konnten eine Entscheidung treffen. Jeder für sich.

Uns wurde klar, dass wir uns nicht trennen möchten.

Diese Klarheit hat A. gespürt. Und ich glaube, es hat ihm das Gefühl gegeben, dass ich – zum ersten Mal – voll und ganz für ihn bzw. uns eingetreten bin. Dass ich fordere, dass er in meinem Leben ist. Nicht im Sinne eines „Friss oder stirb“, sondern im Sinne von „das ist meine Wahrheit“.

Widerstrebend und „unter Vorbehalt“ ließ A. sich unter diesen neuen Voraussetzungen auf ein gemeinsames Wochenende ein. Es war so harmonisch wie selten. Seitdem haben wir uns regelmäßig gesehen, und hat es keinen Knall mehr zwischen uns gegeben.

Im Nachhinein erzählte er, wie sehr ihn mein Verhalten beeindruckt habe. Das will etwas heißen. Er sagte, ich hätte „wahre Treue“ bewiesen. Am meisten hat ihn fassungslos gemacht, dass ich ihn nicht habe fallen lassen. Alle Erwartungen enttäuscht 😉

Test

Es war ein letzter, großer Test gewesen. Getestet hat er mich all die Jahre. Aber diesmal ging es um alles oder nichts; das konnte ich spüren. Ich musste mich entscheiden. Jetzt oder nie. Wenn ich diesmal durchfiel, war es das gewesen.

Stattdessen sind wir in einer Balance angekommen. Jeder für sich und miteinander. Ich sage nicht, dass diese Balance endgültig ist. Das Leben entwickelt sich, und wir entwickeln uns mit ihm.

Doch wir haben einen Meilenstein der Akzeptanz erreicht, und eine nie gekannte Stabilität und Sicherheit. Vertrauen.

A. meinte, er hat nicht mehr permanent Angst, mich zu verlieren. Denn eigentlich war er die ganze Zeit überzeugt, mich sowieso „nicht haben zu dürfen“.

Zugleich hat sich meine Beziehung zu meinem Mann signifikant verbessert. Auch durch andere Einflüsse. Doch der Quantensprung ist unübersehbar.

Liebe in Zeiten von Corona

Was hat all das mit Corona zu tun?

Nun, im Moment sind es erneut äußere Umstände, die uns voneinander fern halten. Ende Februar, kurz bevor die Corona-Krise richtig losbrach, habe ich A. noch in Deutschland besucht. Ob unser nächstes Treffen in zwei Monaten stattfinden kann, halte ich gerade für ziemlich unwahrscheinlich.

Wir sind also erneut mit Grenzen konfrontiert. Doch ich merke diesmal, dass unsere Verbindung trägt.

Wir schweigen miteinander auf Skype, und die Energien fließen und kribbeln am ganzen Körper. Was uns fehlt, ist der physische Ausdruck unserer Nähe. Doch wir sehen einander an und haben das Gefühl, die Sonne geht auf.

Fürsorge

Vor ein paar Tagen ist A´s Vater gestorben. Sie hatten zwar seit langem keinen Kontakt mehr, doch ich spüre, was es mit mit macht.

Gestern schickte er mir das Video Purple Rain von Prince. Es hat zu mir gesprochen und mich tief berührt. Vor allem die Anfangssequenz, bevor er überhaupt anfängt zu singen.

Ich wäre jetzt so gerne bei A. Würde seine Hand halten und seinen Kopf streicheln. Ihm einen Tee kochen und ihm die Nasenspitze küssen.

Doch das Universum hat andere Pläne.

Bisher hat es uns sicher durch diese unglaublichen Zeiten manövriert. Und ich vertraue darauf, dass es das auch weiterhin tut.

Corona? Kann unserer Liebe nix anhaben.

Wir halten den Faden fest in der Hand und lieben uns unbeirrt weiter.