Vor kurzem hatte mich jemand gebeten zu berichten, wie es sich anfühlt, wenn die Dualseele die Seite gewechselt hat. Das möchte ich gerne tun. Denn natürlich ist auch mein Prozess nicht zu Ende, und A. hatte (und hat) markanten Anteil daran.
Am 26. August 2022 ist A. ohne Sterbehilfe verstorben. Und obwohl der Abschiedsprozess sich ja lange hinzog, hat mich das eigentliche Ereignis (bzw. der Zeitablauf) dann doch überrascht.
A. hatte immer ein Gefühl für Timing. Und so ist es wohl unserer Geschichte würdig, dass er sich ausgerechnet an meinem 20. Hochzeitstag von mir verabschiedete. (Zur Erinnerung: Ich habe sowohl A. als auch meinen Mann am gleichen Abend kennengelernt.)
Und auch bei dieser letzten ausführlichen Begegnung hat er geschafft, was er immer wieder konnte: mich kalt erwischen. Denn er berichtete, dass er ab dem folgenden Abend sediert würde.
Ich hatte keine Ahnung, was das genau ist und dass es das überhaupt gibt. Aber im Wesentlichen hieß es, dass er bis zur finalen Sterbehilfe in künstlichen Schlaf (oder Narkose) versetzt werden sollte. Er hielt es einfach nicht mehr aus.
Sein Wortlaut war: „Heute abend wird das versuchsweise für eine Nacht gemacht, und wenn es anschlägt, wird es dauerhaft fortgeführt bis zur finalen Sterbephase.“
Ungläubigkeit
Meine Reaktion speiste sich aus unserer gemeinsamen Erfahrung, denn nicht jede Information, die er mir über die Zeit gegeben hat, hat sich dank der Krankheit als verlässlich herausgestellt. Von daher war ich vorsichtig skeptisch und glaubte nicht so recht, dass dies wirklich unsere letzte Begegnung sein würde.
Zu viele Fragen waren offen. Und vor allem erschien es mir merkwürdig, jemanden bis zur finalen Sterbehilfe ruhigzustellen, um ihn dann noch einmal aufzuwecken, um selbst „den Schalter“ umzulegen?
Nun, zur Sterbehilfe gäbe es sicher viel zu sagen. Ich persönlich bin froh, dass es nicht dazu kam und dass sein Körper unter der Sedierung seinen Dienst verweigert hat. Allerdings hatte ich auch gelesen, dass die Sedierung den Sterbeprozess beschleunigen kann und den früheren Tod gewissermaßen in Kauf nimmt. (Dass er wirklich sterben wollte, dürften zu dem Zeitpunkt wirklich alle begriffen haben.)
Administrativer Alptraum
Administrativ muss die Sterbehilfe ein Alptraum gewesen sein. Seine jüngere Schwester berichtete mir später, wie sehr sie für ihn hätte kämpfen müssen und dass Deutschland zwar das Gesetz zur Sterbehilfe erlassen habe, aber ansonsten so ungefähr nichts geregelt sei.
Gegangen ist A. jedenfalls in einem unbemerkten Moment, als niemand im Raum war und er endlich seine heiß ersehnte „Ruhe“ hatte. Ich kann mir nicht helfen, aber das ist sooo typisch, und ich muss grinsen. Er hat die wichtigen Entscheidungen immer allein, nur mit sich selbst ausgemacht und mich (und andere) anschließend vor vollendete Tatsachen gestellt.
Da für mich die Lage nach unserem letzten Skype jedoch so voller Fragezeichen gewesen war, habe ich ihn am nächsten Morgen nochmal kurz auf Skype erwischt. Das war allerdings eine unglückliche allerletzte Begegnung, in der er recht unwirsch und ungeduldig war. Das tat weh, doch im Nachhinein wurde klar, warum.
Abschied von den Lieben
Er hatte vom Hospizverein wohl den Auftrag erhalten, sich von allen wichtigen Personen noch zu verabschieden und sie in Kenntnis zu sezten.
Und das tat er – nach Kräften. Bzw. genau diese Kräfte gingen ihm aus. Das hat er mir in diesem kurzen Gespräch auch gesagt. Er hätte keine Kraft mehr und er wolle noch seine Schwester anrufen. Seine letzten Worte an mich waren: „Ich liebe dich.“
In den folgenden Tagen stand im Raum, ob ich noch ein letztes Mal nach Deutschland reisen sollte. Ich spürte, dass es eilte – wenn ich es denn tun wollte. Doch schließlich entschied ich mich dagegen. Er hatte signalisiert, dass er niemanden mehr sehen wollte. Das respektierte ich – zumal ich kräftemäßig durch einen Umzug ebenfalls auf dem letzten Loch pfiff.
Die Seite gewechselt
Als ich schließlich in der Nacht vom 26. auf den 27. August die Nachricht seiner Schwester erhielt, dass er eingeschlafen sei, war der Schmerz wie ein stechender Blitz. Für solch eine Nachricht sind wir wohl nie gewappnet.
Doch ich bin froh, dass ich so viel getrauert habe all die Jahre – und, wie A. sagte, auch für ihn geweint habe. Es hat mich nicht mehr von den Füßen gerissen. Ich konnte den Schmerz halten und da sein lassen.
Er kommt immer noch in Wellen. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, spüre ich erneut die Trauer, die im Alltag nicht mehr täglich anwesend ist. Mein Gefühl ist, dass ich die „üblichen“ Lagen der Trauer abgeweint habe. Das, was jetzt noch hochkommt, sitzt tiefer und wird nur selten berührt.
Doch wenn es berührt wird, spüre ich erneut diese ganze Tiefe zwischen uns. Besonders gesehen gefühlt habe ich mich von einem alten Bekannten, der selbst eine Dualseele hat und der so treffend in Worte fasste, was es bedeuten muss, wenn dieser eine Mensch die Seite wechselt.
Körperliche Schmerzen
Womit ich bis heute zu tun habe, sind körperliche Symptome. Überhaupt habe ich stärker mit dem Körper als emotional reagiert. Die Spannung zwischen Schultern und Nacken hält sich bis heute hartnäckig trotz intensiver Bewegung und Dehnung. Das Gute ist, dass meine gesamte Wirbelsäule in Bewegung gesetzt wird und mein Körper mich anleitet, massive Spannungen zwischen den Rippen (!) zu lösen. Unser Körper ist und bleibt ein Meisterwerk.
Auch mit Schwindel und verzerrter Wahrnehmung (wie betrunken) bekam ich es zu tun. Ich vermute, das ist einer Dehydrierung zu schulden. Ich stelle schon seit geraumer Zeit fest, dass ich aufhöre zu trinken, wenn es mir schlecht geht.
Zu mir zurück
Im Großen und Ganzen bin ich jedoch überrascht, wie gut es mir gelingt, in meinen Alltag zurückzukehren. Ich denke, das ist der Tatsache geschuldet, wie lange dieser Abschied sich hinzog. Und: unsere wiederholten Trennungen haben mich tatsächlich gelehrt, vollständig zu mir zurückzukehren.
Über Telepathie zwischen Dualseelen wird ja auch viel geschrieben, und unsere hat nur in einigen wenigen Fällen funktioniert. Jedenfalls fühle ich A.s Anwesenheit nicht länger. Ich habe auch nicht gespürt, dass er gestorben ist.
Zudem bin ich überzeugt, dass ich auch energetisch durch einen Lösungsprozess ging – und gehe (wie wenn eng verwobene Fäden auseinandergedröselt werden).
Oben erwähnter Freund sagte, vielleicht sei ich jetzt (auch angesichts meiner verlorenen Zwillingsschwester) zum ersten Mal wirklich allein – und vollständig. Denn eines wurde in den letzten Gesprächen klar: A. trug oder verkörperte einige Anteile, die eigentlich (oder auch) die meinen sind. All diese Anteile sind jetzt wirklich bei mir, und das fühlt sich noch immer völlig fremd an. Die Delegation ist vorüber.
Ich könnte auch sagen, ich kenne mich selbst nicht mehr. Oder genauer gesagt: noch nicht.
Ende eines großen Kapitels
Ein großes Lebenskapitel hat sich wirklich geschlossen. Das merke ich auf so vielen Ebenen. Darin mischt sich auch Erleichterung.
Doch es gibt noch mehr zu sagen. Demnächst werde ich euch von der Beerdigung berichten.
Heute Nacht habe ich das erste Mal wieder von ihm geträumt (was sowieso selten geschah). Es war ein heiterer, fröhlicher Traum. A. war darin nicht direkt anwesend, aber durch meine Erzählungen habe ich ihn auch für die Anwesenden lebendig gemacht. Und ich höre noch immer sein Lachen. Dieses verschmitzte, vergnügte Grunzen, das er von sich gab, wenn er wieder mal mit mir über die Absonderlichkeiten des Lebens lachte.
Derweil trage ich den Blick aufs Meer im Herzen. Warum – das hört Ihr bald von mir.
Alles Liebe.