Die letzten Wochen waren wieder einmal extrem turbulent, um nicht zu sagen herausfordernd. Und wenn eines das herausragende Thema war, so waren es Grenzen. Von daher überrascht es mich nicht, dass mich auch das letzte Wochenende mit A. an meine Grenzen gebracht hat. Ich bin gerade davon zurückgekehrt.
Mal ganz ehrlich: wenn du über beide Ohren verliebt mit deinem Seelenpartner in der Bubble Love bist, ist das Letzte, was du dir vorstellen kannst, eine Trennung. Ich meine, dass du auf die Idee kommen könntest, dich zu trennen.
Mir jedenfalls ging es lange so. Ich war so überglücklich, ihn gefunden zu haben, dass ich ihn nie, nie wieder hergeben wollte. Das hielt so lange, bis ich seine ersten Schattenseiten zu sehen bekam. Schmeckten die bitter.
Wo viel Licht ist, ist viel Schatten
Und glaube mir, da sind Schatten. Oh Mann! Ich halte A. noch immer für eine große und atemberaubende Seele, aber wie heißt es so schön? Wo viel Licht, da viel Schatten. Ist das wahr! Und das gilt selbstverständlich nicht nur für ihn.
Was tust du also, wenn dich ein geliebtes Wesen mit solchen Abgründen konfrontiert? Suchst du das Weite? Versuchst du dich zu schützen? Hinzusehen? Seinem Vertrauen gerecht zu werden? Denn vertu´ dich nicht: er zeigt dir gerade, wie sehr er dir vertraut, und wieviel er dir zutraut.
Er macht sich verwundbar. Er zeigt sich. Er schont dich nicht. Und sich auch nicht. Er konfrontiert dich. Mit all seinem Schaden. All seinem Schmerz. Oder doch einem guten Stück davon. Er offenbart dir Schattenseiten, mit denen du – durch eure Verbindung – unsäglich eng verbunden bist.
Er riskiert, von dir gesehen zu werden mit all dem, was er sonst so sorgfältig und mit unvorstellbarem Kraftaufwand vor der Welt versteckt.
Das kann einem schon mal den Atem rauben. Und einem eine Idee geben, wie viel Kraft er wahrhaftig besitzt.
Auf Distanz
Fällt dir was auf? Ich bin auf Distanz gegangen. Habe mich in Sicherheit gebracht. Sogar sprachlich. Ich habe abstrahiert. Ich schrieb „das kann einem schon mal den Atem rauben.“ Nicht mir. Das war zu persönlich. Doch natürlich geht es genau darum. Um meine Betroffenheit.
Es ist so viel über die Runner-Chaser-Dynamik geschrieben worden, dass wohl niemandem, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, dieses Konzept und die Erfahrung fremd ist. Und irgendwann kommt tatsächlich der Punkt, wo sich die Dynamik umdreht. Der Verfolger wird zum Verfolgten und ergreift selbst die Flucht.
Sogar darüber haben wir am Wochenende gesprochen. Dass ich froh bin, dass er sich nicht mehr regelmäßig aus meinem Leben verabschiedet. Darauf grinste er und meinte, er hätte kürzlich sehr wohl nochmal solch einen Impuls gehabt. Aber dann hätte er gedacht: „Nee, keine gute Idee.“ Er ist geblieben. Trotzdem hört die Dynamik nicht sofort auf. Sie verkleinert sich. Die Zyklen passieren schneller, und wir gehen nicht mehr so weit voneinander weg. Aber wir flüchten immer noch. Beide.
Und manchmal ist das sogar gesund. Ob wir dabei immer noch von Flucht sprechen sollten, lasse ich mal offen. Mir scheint eher, es wird mehr zu einer bewussten Entscheidung. Eine gesunde Regulierung von Nähe und Distanz. Und dazu gehören Grenzen. So nicht. Das reicht. Nicht mit mir.
Wieviel Nähe und Durchlässigkeit lasse ich gerade zu, und wo beginnt sie mir zu schaden? Wo tue ich gut daran, mich zurückzuziehen und dem anderen zu signalisieren, dass mir etwas zu viel ist? Oder ich es für toxisch halte?
Grenzen setzen
Und so habe ich A. am nächsten Morgen sehr ehrlich offenbart, dass ich in der Nacht erwogen hatte, mich zu trennen. Eine Grenze zu ziehen. Mich in Sicherheit zu bringen. Nein zu sagen. Und ich sage das in vollem Ernst. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt. Und meinte, er hätte gewusst, dass ich diese Option erwäge. Und dass ich bleiben würde.
Und da musste ich plötzlich grinsen. Dieser verdammte Mistkerl! Er sprach mir einfach so die Wahrheit ins Gesicht, und ich fühlte mich unglaublich gesehen. Und geliebt. Und ich wusste, dass er ins Schwarze traf. Er verstand, wie ich ticke. Er wusste, dass ich mich von einer Herausforderung nicht einfach ins Bockshorn jagen lasse. Dass ich, wenn erforderlich, die Zähne zeige. Und bleibe. Oder zurück komme. Dass ich belastbar bin (was gleichermaßen eine Stärke und eine Schwäche sein kann).
Ein Seelenband ist enorm belastbar
Was ist also in den ersten Phasen unserer Verbindung geschehen? (Ich spreche jetzt von der Zeit nach unserem ersten Kuss. Nicht von den vielen Jahren, in denen wir unabhängig voneinander versucht haben, unser Leben auf die Reihe zu bringen).
Es ist Vertrauen entstanden. Dir wird irgendwann klar, dass dieses Seelenband zwischen euch existiert. Du ziehst daran. Er zieht daran. Du lässt es flitschen. Er lässt es flitschen. Und das kann ganz schön zwiebeln. Ach ja, und natürlich versucht ihr alle beide mehrfach, es durchzuschneiden.
Nö.
Geht nicht. Vergiss es.
Und das ist eine gute Nachricht.
Akzeptanz
Aber wie es scheint, müssen wir erst eigene, verlässliche Erfahrungen machen. Wir glauben ja nicht einfach, was irgendwer in einem Blogartikel schreibt! Und das ist verdammt nochmal gut so.
Doch irgendwann steht ihr euch beide erstaunt gegenüber und müsst euch selbst und dem anderen eingestehen, dass das Band immer noch da ist. Und dass es unvorstellbar stark ist. Das habt ihr beide nämlich erfahren dürfen, jenseits allen Zweifels. Ihr habt geschrien, getobt, gelogen, gebettelt, gedroht, geschmeichelt, geblufft und euren intelligentesten Trick versucht. Ihr habt alles ausprobiert. Ihr habt das Band nach allen Regeln der Kunst testen dürfen.
Und jetzt kommt das Erstaunliche: ihr habt es für belastbar befunden.
Das ist gut so. Denn es bildet – jedenfalls nach meinem Verständnis – den Rahmen für eure gemeinsame Aufgabe. Es schafft Vertrauen. Und Gewissheit. Für die Aufgabe, die ihr vereinbart habt, gemeinsam zu erledigen. In unserem Fall ist das Heilung. Und das nicht zu knapp.
Wenn ihr diesen Punkt erreicht habt, passiert etwas Spannendes. Ihr nehmt eure Verbindung und eure Aufgabe an.
Veränderungen
Bei uns haben sich diese Veränderungen beispielsweise darin gezeigt, dass A. seine Therapieresistenz abgelegt und eine Therapie begonnen hat. Er hört mir in Sachen Gesundheit plötzlich zu, wo er früher harsch und abweisend reagiert hat. Und ich habe mich meinerseits Dingen zugewandt, die es in meinem Leben in Ordnung zu bringen gilt.
Wir haben aufgehört, für den anderen die Verantwortung zu übernehmen und ihm seine Entscheidung abzunehmen zu wollen. Er hat seinen Prozess, und ich habe meinen. Wir können einander unterstützen und füreinander da sein. Und oft genug sind wir einander knallharte Sparring-Partner. Aber wir können füreinander nicht die Arbeit erledigen. Das haben wir irgendwann verstanden und akzeptiert.
Freier Wille
Ich glaube trotzdem, dass Dualseelen einen freien Willen haben. So frei man denn sein kann unter der Last unserer Konditionierung. Wir sind nicht sklavisch an diese Verbindung gebunden. Wir können sie auch annehmen und dann separater Wege gehen. Ob wir das wollen, ist eine andere Frage.
Ich erlebe dieses Band als Chance. Es ist auch eine Grenze. Ein Rahmen, an dem wir uns reiben und abarbeiten können. Der uns begrenzt. Und der besagt: Du, Seele, kannst dich wieder entscheiden zu flüchten und dich deinen Themen zu entziehen. Aber ich habe dir diese andere Seele geschickt. Und die wird dich erinnern. Mal liebevoll, mal brutal. Ihr habt gemeinsam für diesen Job unterschrieben. Also macht eure Arbeit.
Vielleicht wird sich nicht jeder mit einer gemeinsamen Mission identifizieren können. Vielleicht hast du einen anderen Grund für eure Seelenbegegnung entdeckt. Für mich ist es der Auftrag zu heilen. Und da wir groß sind, haben wir Großes auf uns genommen. Das sage ich ohne jede Bescheidenheit.
Das hier ist ein Knochenjob, der mir all meine Kräfte und Fähigkeiten abverlangt. Not for the faint of heart, wie die Engländer sagen. A. sagte einmal, er bräuchte, dass ich mich zu meiner vollen Größe aufrichte. Erst dann könne er seine Drachen herauslassen.
Ich hatte schon vorher eine Ahnung, wie mächtig diese Drachen sind. Aber dieses Wochenende haben sie mich das Fürchten gelehrt. Ich halte das für eine prinzipiell positive Sache. Man sollte die Kräfte kennen, mit denen man es aufnimmt.
Meisterschaft
Das ist das Ringen um die Meisterschaft. Wenn du in den Spiegel blickst, die absolute Schwärze findest und dich immer noch daran erinnerst, dass du Licht bist und Licht sein sollst.
Nein, wir haben den Meistertitel noch nicht verdient. Aber wir können trotzdem stolz sein. Wir nehmen die Herausforderung an. Schritt für Schritt. Und dabei wachsen wir kontinuierlich.
Wir sind Wesen, die in einen engen, begrenzten Rahmen eingetreten sind. Einen Körper. Ein Bewusstsein. Eine Zeitdimension. Wir sind gekommen, um Grenzen und Unterschiede kennen zu lernen.
Was für eine Erfahrung.