Wenn es eins gibt, was uns antreibt, so ist es die tiefe Sehnsucht nach Intimität. Doch die Wahrheit ist, dass wir in den meisten Fällen die Fähigkeit zur Intimität verloren haben.
Denn was ist Intimität? Intimität ist Offenheit. Ehrlichkeit. Intim zu sein, heißt sich „bedingungslos“ zu offenbaren. Schutzlos zu werden. Weil wir es uns leisten können. Weil wir sicher sind.
Eine Ahnung dieser überwältigenden Nähe bekommen wir, wenn wir eine Seelenbegegnung haben. Und wir sind wie gebannt von der Möglichkeit, dorthin zurückkehren zu können.
Angst vor Schmerz
Doch plötzlich stellen wir fest, dass dem Dinge im Weg stehen. An erster Stelle: Angst. Doch woher kommt diese Angst? Angst stammt aus Erfahrung. Und diese Erfahrungen bedeuteten Schmerz. Es war Schmerz, der uns im Laufe der Jahre dazu gebracht hat, uns zu verschließen. Uns zu verbiegen, uns zu verbergen. So zu tun, als ob. Eine Rolle zu spielen. Denn unser wahrhaftiges Selbst war unzumutbar. Scheinbar. Unsere Umwelt hielt unsere kindliche Wahrheit nicht aus.
Kinder sprechen noch die Wahrheit. Sie sind ehrlich. Nicht höflich. Doch dann kommen die selbst zutiefst verletzten Eltern, bekommen Angst vor dieser Wahrheit (und den drohenden Konsequenzen!) und gewöhnen es dem Kind ab. Und da ich Mutter bin, spreche ich aus Erfahrung!
Unsere Wahrheit, unser wirkliches Sein wurde also im Laufe der Zeit in eine Hülle des Schmerzes gehüllt. Erst kam der Schmerz. Dann die Leugnung. Und schließlich die Selbstverleugnung. Wir haben uns selbst verloren.
Erinnerung
Und dann tritt dieser Mensch in dein Leben und offenbart mit einem einzigen Blick dein ganzes Lügengebäude. Er erkennt dich wieder. Denn er hat dich vorher schon gekannt. Als du noch andere Masken trugst. Oder auch nackt warst. Er hat gelernt, zwischen deinem wahrem und falschem Selbst zu unterscheiden. Er trägt noch das Wissen (oder die Erinnerung) in sich, die du selbst verloren hast. Und deshalb zieht es dich magisch zu ihm hin.
So jedenfalls verstehe ich Seelenbegegnungen.
Zurück in die Intimität
Was also ist erforderlich, wenn wir zurück in die Intimität wollen? In die tiefste denkbare Form der Verbindung? Wir müssen umkehren. Und den ganzen (Irr-)Weg, den wir gegangen sind, über viele, lange Jahre, zurückmarschieren. Schritt für Schritt. Wir müssen wieder freilegen, was wir einst aus reinem Überlebensinstinkt verborgen haben. Wir müssen an all den Leichen vorbeimarschieren. Zurückkehren. Anerkennen. Sehen. Akzeptieren. Jeden einzelnen Schmerz.
Scheuen wir davor zurück (was uns wohl kein Mensch verdenken kann!), bleibt uns die wahre Intimität, die wahre Begegnung versperrt. Mit uns selbst – und mit dem anderen. Das ist es, so denke ich, was Lee Patterson meinte, als er sagte: „Was, wenn wir einander halten würden in unserem Schmerz?“
Einander Sicherheit geben
Ich erlebe diesen Prozess gerade wieder einmal sehr intensiv mit meinem Mann. Und ich bin sicher, dass es zu seiner Zeit auch mit A. geschehen wird. Denn wir sehnen uns alle drei nach dieser tiefen Rückverbindung. Nach diesem Heilsein. Dieser Geborgenheit. Dieser Sicherheit. Und die können wir nur wieder erlangen, wenn wir anerkennen, dass wir verwundet wurden. Und uns weiter selbst verwunden.
Der Weg durch den Schmerz ist unumgänglich. Und scheint oft schier unerträglich. Aber eins weiß ich, so sicher, wie ich hier sitze: dahinter wartet etwas, das die Arbeit lohnt. Keiner von uns will sterben. Aber manchmal ist es der einzige Weg.
Glücklich, wer Weggefährten hat.