Für mich ist es kein Zufall, dass ich ausgerechnet jetzt, kurz vor dem Lockdown, wieder zu bloggen begonnen habe. Ich denke, ich habe etwas beizutragen. Deshalb bin ich wieder da.

Wie geht es euch da draußen? Fühlt ihr euch auch so durchgeschüttelt? Getestet? Seid ihr verzweifelt, ängstlich, frohen Mutes oder hoffnungsvoll? Schwankt ihr zwischen all diesen verschiedenen Gefühlen?

Auch wenn ich mit einem Wandel gerechnet habe – dass er in dieser Form kommen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

Spaltung

Und wie so viele Dinge in den letzten Jahren scheint auch die Corona-Krise uns in zwei Lager zu spalten. Bei Facebook wird das für mich am deutlichsten.

Da scheinen – grob vereinfacht – auf der einen Seite die spirituellen „Spinner“ zu sein, und auf der anderen die vernünftigen, realistisch-Bodenständigen. Wo verortest du dich? Geht beides zusammen? Kann man tatsächlich zwischen den Lagern stehen?

Vor ein paar Tagen bin ich auf einen Post gestoßen, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich kenne verschiedene spirituelle Personen, und mit deren Haltung kann ich mal mehr, mal weniger anfangen.

Die Person, von der ich heute spreche, erlebe ich als relativ reif. Sie strahlt große Ruhe und Gelassenheit aus. In ihren Texten und dem, was sie teilt, kommt keine Aufregung vor, keine Wut oder Empörung.

Ich finde sie wohltuend. Oder anders gesagt: ich erlebe sie als weitgehend triggerfrei.

Verharmlosung?

Kürzlich nun kommentierte eine Bekannte, sie könne mit der „Verharmlosung“ und dem „Weichspülen“ dieser Frau nicht länger umgehen und würde sich – freundlich grüßend – aus dem Kontakt verabschieden.

Von der Wertung mal abgesehen, fand ich diese Anmerkung noch relativ stimmig: jemand übernimmt für die eigenen Gefühle Verantwortung und zieht sich zurück. So weit, so gut. Doch was ist mit dem Vorwurf der Verharmlosung?

Ich muss gestehen, dass ich bei meiner FB-Bekannten keine Verharmlosung oder Schönrednerei finden konnte. Warum also die Reaktion?

Spiritual Bypassing

Ich glaube, die Frage hat mich auch deshalb beschäftigt, weil ein Teil in mir sich angegriffen gefühlt hat und ich mich kritisch fragte: spiele ich selbst den Ernst der Lage herunter, wenn ich eine spirituelle Perspektive einnehme? Betreibe ich das viel besungene „spiritual bypassing“ (Vermeidung durch scheinbare Spiritualität)?

Bedeutet, sich nicht aufzuregen oder neutral zu bleiben, andere im Stich zu lassen? Bedeutet zu vertrauen, das „Negative“ in der Welt zu ignorieren?

Bei mir stelle ich zwei innere Parteien fest, die manchmal durchaus im Wettstreit sind.

Da ist die rein weltliche, logische, „menschliche“ Seite. Die Humanistin in mir.

Und dann ist da meine spirituelle Seite, mit all ihren bewusstseinsverändernden Grenzerfahrungen der letzten Jahre.

Wenn ich an einen höheren Sinn dieser Krise glaube (was ich tue), relativiere ich damit den Schmerz, der durch sie erzeugt wird?

Müssen sich Empathie und innerer Frieden ausschließen?

Balance oder Aussteigen?

Für mich liegt die Antwort in der Mitte. Im Erden. Im Sein. Schon die Buddhisten haben gesagt, dass nur in der Mitte zwischen den Polaritäten die Ruhe zu finden ist. Sie nennen es Nirwana.

Anders gesagt: wenn ich mich von der Flut der Informationen und Emotionen fortreißen lasse (und glaubt mir, das passiert mir immer wieder – auch wenn ich besser darin werde), wie gut kann ich anderen noch helfen und Halt geben, z.B. meinen Kindern? Ist es nicht sinnvoller, mich regelmäßig einmal auszuklinken und die Dinge von einer etwas distanzierteren Position zu betrachten?

Jemand Kluges sagte mal, wir könnten ein Problem nie in dem Rahmen lösen, in dem es entstanden sei. Wir müssen hierzu unseren Bezugsrahmen weiten.

Religion bzw. Spiritualität hat immer auch die Funktion gehabt, Menschen zu trösten und Halt zu geben. Selbst wenn ich für einen Moment in Erwägung ziehe, dass meine Spiritualität Illusion sein könnte – ist sie dann nicht immer noch „nützlich“, wenn sie mich stärkt und handlungsfähig bleiben lässt?

Oben und unten

Da fällt mir das Gemälde ein, das in der Praxis einer Therapeutin hing. Es zeigte das chinesische Symbol für Himmel. Darin entdecken können wir einen Menschen, der die Arme weit ausgestreckt hält. Er ist mit Oben und Unten verbunden.

 

Ich habe viele Jahre vor allem in meinem Kopf gelebt. In Büchern. In Fiktion. Von meinem Körper war ich entfremdet und traute ihm nicht.

Das hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert. Ich kann inzwischen mit beidem verbunden sein: dem Oben und dem Unten. Ich kann meinen Körper sehr bewusst spüren, während die Energie durch mein System strömt.

Und es sind diese Momente, in denen es am intensivsten ist. Wenn ich zum Kanal werde zwischen Oben und Unten. Dazwischen. Mittendrin.

Subjektive Erfahrung

Doch was ist mit unserer subjektiven Erfahrung der Krise? Was ziehen wir persönlich daraus, was lernen wir? Ich bin in den letzten Jahren durch einige existenzielle Krisen gegangen, und es war alles andere als lustig. Und auch die jetzige Situation fühlt sich wie ein großer Test an. Vielleicht wie eine Meisterprüfung.

Ich kann mir zusehen, wie ich immer wieder in den Strudel der Angst und Sorge falle – und wie mein Körper mit Stress und Krankheit reagiert. Ist es nicht meine Verantwortung, aus diesem Strudel auszusteigen? Und anderen ebenfalls eine helfende Hand anzubieten?

Letztlich werden die unterschiedlichen Perspektiven wohl unversöhnlich bleiben – es sei denn, Einzelne schlagen in sich die Brücke.

Empathie und Fürsorge

Für mich ist beides möglich. An einen „höheren“ Sinn zu glauben und tiefe Empathie und Fürsorge auszudrücken. Manchmal geht das sogar besser, wenn ich innerlich ein paar Schritte zurücktrete.

Wenn ich eine Emotion in den letzten Jahren immer wieder durchlebt habe, war es Schmerz. Seelenschmerz. Schmerz über unser Menschsein.

Ich kenne Verlust. Ich kenne Trauer. Ich kenne auch die rasende Wut der Ohnmacht. Die Angst um die Existenz. Das Gefühl des Verrats. Ich bin all diesen Gefühlen nicht ausgewichen. Im Gegenteil. Ich habe mich ihnen gestellt. Und stelle mich ihnen auch weiterhin.

All dies wird weltweit gerade in uns getriggert.

Derweil versuche ich, bestmöglich meine Balance zu halten. Zwischen Innen und Außen, mir und anderen sowie einem zu viel oder zu wenig an Information.

Bleibt gesund.

PS: Falls ihr euch fragt, wie es A. geht: er ist putzmunter, guter Dinge, genießt als geborener Eremit die Einsamkeit (typisch Steinbock!) und heitert mich immer wieder auf, wenn ich zwischendurch den Depri kriege. Kein Mensch kann lange Trübsal blasen, wenn einem so viel Liebe entgegen schwappt. Wir lachen gemeinsam, viel und lange, und das ist mit Abstand die beste Medizin.