Es ist lange her, dass ich geschrieben habe. Und in der Tat hatte Covid uns ziemlich gründlich getrennt. Überhaupt bleibt Trennung ein sehr zentrales Thema.

Zur Erinnerung: Kurz nach unserem letzten Treffen im Dezember 2020 war A. ins Heim gezogen. Es war krass mitzubekommen, wie sein „Leben“ (wie A. es nannte), zerpflückt, entsorgt, verschenkt und aufgelöst wurde. Im Heim war kein Platz für all sein Zeug.

Und so entpuppte sich dieses Wochenende, das ich damals mal wieder völlig spontan und aus dem Bauch heraus eingeschoben hatte, gewissermaßen als unser „Höhepunkt“. Als hätte ich es im Urin gehabt, bat ich damals noch meine Mutter, uns einmal besuchen zu kommen, und es sollte die erste und einzige Begegnung zwischen den beiden bleiben.

Ich weiß nicht genau, warum ich dieses Treffen arrangierte (zumal A. anschließend bemerkte, sie habe eigentlich nur mit mir gesprochen – was ich ihrer Unsicherheit und der Erinnerung an ihre eigene, ähnliche Geschichte zuschreibe), aber irgendetwas trieb mich, eine „Familienverbindung“ herzustellen (etwas, was sich momentan auf A.’s Seite fortsetzt, wie ich noch berichten werde).

Sein Ankommen im Heim war für mich ein Schock (und für ihn vermutlich auch) – auch wenn ich es „nur“ durch die kleinen Fenster unserer Skype-Sessions miterlebte. Reisen konnte ich damals noch nicht wieder. Und so hatte ich aus der Ferne das zweifelhafte Vergnügen mitzuerleben, wie die Dinge sich Schritt für Schritt verschlechterten.

Wo wir heute sind

Vor ein paar Tagen hatten A. und ich nochmal ein (für seinen aktuellen Zustand) ungewöhnlich langes Gespräch. Und es ging darum, dass evtl. auch Alternativen zum Heim existiert hätten. Ich sagte ihm deutlich, dass ich wahrnehme, wie das Heim ihm zusätzlich schadet – die Routine, das Systemische, das Praktisch-Machbare (aber nicht unbedingt Würdevolle). Für mich ist eine klare Reinszenierung alter Traumen (er wuchs zeitweise im Heim auf).

Und so gingen der Reihe nach alle möglichen Dinge verloren. Wir sahen uns in dieser Zeit überhaupt nicht persönlich (über ein Jahr, wenn ich mich recht erinnere).

Heute ist A. nicht mehr in der Lage, sich alleine in irgendeiner Form zu helfen. Im März konnten wir noch gemeinsam ein Wochenende im Hotel verbringen (da ich mich ja schlecht im Heim einbuchen konnte), aber das war schon ein Riesenkraftakt und erforderte, dass ich die gesamte Pflege übernahm.

Ersehnter Ausweg

Vor ein oder zwei Wochen bekam er endlich den ersehnten Bescheid: er war in den Verein für Sterbehilfe aufgenommen worden, was erforderlich ist, um Sterbehilfe zu erhalten. Thema war Sterbehilfe schon vor gut zwei Jahren gewesen, als er noch in seiner Wohnung lebte. In der Zwischenzeit hat er Ernst gemacht. Es ist alles vorbereitet. Und inzwischen habe ich auch zu seiner zweiten Schwester Kontakt, die eine Seebestattung organisiert.

Hast du schon mal von jemandem persönlich die Einladung zu seiner Bestattung bekommen? Nun, ich sage dir – es ist ein recht bizarres Gefühl.

Aber was noch viel bizarrer ist, ist der Abschied auf Raten, den wir vollziehen. Bereits im März dachte ich, das sei unser finaler Abschied, weil es für mich so klang, als stünde die Sterbehilfe unmittelbar bevor.

Abschied

Gestern rief mich A. dann auf Skype an, um mir zu sagen, dass er ab dem folgenden Abend „sediert“ wird und um sich zu verabschieden. Wenn er es richtig verstanden habe, bis zum Schluss.

Mir ist noch nicht klar, ob er „nur“ schmerzlindernde Beruhigungsmittel bekommt oder ob er bewusstseinsmäßig komplett „weggeschossen“ wird. Und ob es zeitweise oder dauerhaft/durchgehend ist.

Jedenfalls musste ich erstmal nachschlagen, was das bedeutet und fand es ziemlich bizarr. Denn in der Sterbehilfe kommt es doch zwingend darauf an, dass er das entscheidende Medikament selbst zu sich nimmt? Stellen sie ihn also ruhig, nur um ihn fürs finale Sterben noch einmal aufzuwecken?!

Solche Dinge erlebt man nur mit A. Er ist Meister fürs Bizarre … Ach ja, als Randnotiz sei vermerkt, dass gestern auch mein 20. Hochzeitstag war. Von wegen „das Universum hat Humor“ …

Wie Ihr seht, bin ich in diese formalen, strukturellen Geschichten in seinem Leben wenig involviert, und das wollte ich auch nicht. A.s Tendenz, Dinge falsch zu verstehen oder Tatsachen (unabsichtlich) zu verdrehen helfen auch nicht gerade dabei, Klarheit zu gewinnen.

Gemischte Gefühle und Ungewissheit

So habe ich bisher Abstand davon genommen, mich noch einmal exakt zu erkundigen, wie das jetzt alles weitergeht. Während wir viel Dankbarkeit spüren und ich in gewissem Sinne die Situation auch annehmen kann, kommen trotzdem alle möglichen Gefühle hoch. Heute spürte ich riesengroße Wut; ich denke, weil ich den autoaggressiven, ungeheilten Anteil an der ganzen Sache wahrnehme. So wie A. sich auch bei mir bedankt hat, dass ich „für ihn“ trauere.

Was bleibt, ist ein Gefühl von Ungewissheit. Ich habe keine Ahnung, wann die „finale“ Sterbehilfe stattfinden wird. Und obwohl mich seine Schwestern als seine Freundin akzeptieren und auch einbeziehen, fühle ich mich seltsam außen vor. Schon sehr früh hatten andere das Regime über A.s Leben übernommen; die Ärzte, die Sozialarbeiter, die pädagogischen Betreuer. Trotz unserer „sichtbaren“ Beziehung (aus der wir auch kein Geheimnis gemacht haben), bleibt mein Status ein seltsamer.

Falls ich mich durchringen kann, zu dieser Seebestattung zu fahren, kann es gut sein, dass ich dann das erste (und vermutlich einzige) Mal seine Kinder treffen könnte. Was für ein Anlass …

Was haben wir gelernt?

Nein, unsere Seelenverbindung hat kein klassisches Happy-End. Auch wenn wir beide unsere Lektionen gelernt haben.

So fragte ich A., als er sich dafür bedankte, dass ich „sein Lehrer“ gewesen sei, was genau er denn von mir gelernt habe. Er meinte, er hätte gelernt, mich zu lieben. Und dass Körperlichkeit, Liebe und Zärtlichkeit tatsächlich zusammen gehören. Befragt nach seiner größten Lektion meinte er, er hätte versucht, das Leben zu kontrollieren – und habe verloren. Das war eine würdige Steinbock-Antwort, immerhin.

Was mir bleibt, ist eine unerschütterliche Gewissheit. A) dass wir uns wiedersehen und wiederfinden werden (er meinte schon, es sei einfach, mich zu finden. Er würde einfach nach dem hellsten Stern Ausschau halten). Und B) dass nichts in der Welt die Verbindung zwischen uns zerstören kann.

In diesem Sinne ist A. in mein Fundament gewandert und ruht dort, unerschütterlich.

Trauer – mein ständiger Begleiter

Hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht? Ja, sicher. Es gibt viel zu betrauern. Aber wie mir scheint, war genau das der Deal: dass ich ihm (und damit seiner Familie) helfe, diese Riesenbürde ein wenig kleiner zu machen. Durch Jahre und Jahre fortgesetzter Trauer.

Fühle ich mich benutzt, oder habe ich mich für etwas hergegeben, das er selbst hätte tun sollen? Letzteres vielleicht. Aber ich glaube auch, dass wir tun, was immer wir in der Lage sind zu tun. Er musste genau diesen Weg gehen – oder wollte ihn gehen. Wie sagte jemand kürzlich noch so schön? „Es gibt kein Richtig oder Falsch – nur Erfahrungen.“

Eins weiß ich: es brauchte jemanden wie mich, um überhaupt so weit mit ihm gehen zu können. Und so ende ich mit einem Wortwechsel zwischen uns, der sich ganz am Anfang unserer wiederaufgelebten Verbindung entspann.

„Ich will die ganze Bronja.“ – „Und ich will den ganzen A.“. Das war der Auftrag und der Weg.

Wir sind Riesen, und wir wissen es. Es fühlt sich nicht endgültig an, überhaupt nicht. Mehr wie eine weitere Episode auf unserem Sternenweg.

Nutzt eure Zeit. Carpe diem.